Warum alle Kosmetiker Männer sind

Studien

Titel: Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men
Autor:innen: Gygax, P., Gabriel, U., Sarrasin, O., Oakhill, J., & Garnham, A.
Jahr: 2008
Erschienen in: Language and Cognitive Processes, 23 (3)
doi: 10.1080/01690960701702035
Untersuchte Stile: GM
Kurzzusammenfassung: Das generische Maskulinum zeigt einen maskulinen Bias.

Gygax et al. möchten herausfinden, ob das generische Maskulinum tatsächlich generisch ist. Ist es generisch, so sollten mentale Repräsentation von männlichen und weiblichen Vertreter:innen einer Gruppe gleich stark aktiviert werden.

Das Ziel: Herausfinden, ob das generische Maskulinum einen (maskulinen) Bias zeigt oder nicht.

Gygax et al. führen Studien zu zwei Themen auf.

1. Der Einfluss stereotyper Bilder

  • Leser:innen entwickeln ein mentales Bild entsprechend stereotyper Informationen, über welche sie verfügen (z.B. Beruf A ist weiblich dominiert) (Carreiras et al., 1996; Garnham et al., 2002; Oakhill et al., 2005).
  • Die Beurteilung einer Zusammensetzung einer Gruppe, d.h. der Anteil weiblicher und männlicher Personen in einer Gruppe, wird ebenfalls durch Stereotype beeinflusst (Braun et al., 1998; Rothmund & Scheele, 2004; Irmen & Roßberg, 2004).

2. Der Einfluss von Artikeln und Pronomen

  • GM im Singular führt zu längeren Reaktionszeiten für folgende maskuline Artikel/Pronomen ~ maskuliner Bias (Rothermund, 1998).
  • GM im Plural führt zu längeren Reaktionszeiten für folgende feminine Artikel/Pronomen ~ femininer Bias (Rothermund, 1998).

Fragestellung: Ist das generische Maskulinum generisch?

Es werden keine expliziten Hypothesen aufgeführt.

Stichprobe:
36 Personen; Studierende

Material:

  • 36 Textpassagen, jeweils aus 2 Sätzen bestehen, zum Beispiel:
    (1) Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof.
    (2) Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Jacke.
  • Der erste Satz führt dabei immer eine Menschengruppe ein (Sozialarbeiter); der zweite Satz führt den ersten fort.
  • Dabei gibt es 2 Varianten:
    (1) es geht um Männer
    (2) es geht um Frauen (siehe Beispiel)
  • Die Gruppenbezeichnungen entsprechen GM, die auf ihre stereotypischen Eigenschaften hin ausgesucht wurden:
    – 12 typisch weibliche Rollenbezeichnungen (Kosmetiker)
    – 12 typisch männliche Rollenbezeichnungen (Autoren)
    – 12 neutrale Rollenbezeichnungen (Polizisten)
  • Jeder TN sah folgende Menge an Satzpaaren:
    – 18 über Frauen, je 6x mit typischen/neutralen/untypischen Rollenbildern
    – 18 über Männer, je 6x mit typischen/neutralen/untypischen Rollenbildern
    – 36 Filler zur Ablenkung/Sicherstellung der Aufmerksamkeit

Erhobene Variablen:
TN sollen per Button Box beantworten, ob Satz (2) zu Satz (1) passt; hierbei wurde die Antwort sowie die Reaktionszeit gemessen.

Antworten:
Unabhängig von Rollenbildern und deren stereotypen Eigenschaften werden Satz (1) und (2) öfter als passend bewertet, wenn Satz (2) sich auf Männer bezieht. Demnach zeigt der enthaltene Artikel (die) keine entgegengesetzte Wirkung. Die Ergebnisse sprechen für einen klaren maskulinen Bias des GM.

Reaktionszeiten:
Reaktionszeiten sind kürzer, wenn Satz (2) sich auf Männer bezieht. Dies spricht für einen klaren maskulinen Bias des GM.

Ist das generische Maskulinum generisch?

Nein. Die grammatische Information des GM, d.h. das maskuline Genus, überschreibt stereotype Rollenbilder, und führt daher sogar bei weiblich dominierten Rollenbildern, die im GM stehen, zu einem maskulinen Bias. Dies ist ein Indiz dafür, dass Sprache das Denken beeinflusst/beeinflussen kann.

Gygax et al. (2008:483) fassen zusammen:
„To conclude, we believe that our results on the overriding effect of grammar over stereotypicality, taken together with previous research on the automatic representation of gender, demonstrate that people construct representations of gender, and that they base their representations on grammar when available, and on stereotype information when grammatical cues are not available.“

Braun, F., Gottburgsen, A., Sczesny, S., & Stahlberg, D. (1998). Können Geophysiker Frauen sein? Generische Personenbezeichnungen im Deutschen. Zeitschrift für germanistische Linguistik, 26, 265-283.
Carreiras, M., Garnham, A., Oakhill, J., & Cain, K. (1996). The use of stereotypical gender information in constructing a mental model: Evidence from English and Spanish. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 49 (3), 639-663.
Garnham, A., Oakhill, J., & Reynolds, D. (2002). Are inferences from stereotyped role names to characters’ gender made elaboratively? Memory and Cognition, 30 (3), 439-446.
Gygax, P., Gabriel, U., Sarrasin, O., Oakhill, J., & Garnham, A. (2008). Generically intended, but specifically interpreted: When beauticians, musicians, and mechanics are all men. Language and Cognition, 23 (3), 464-485. doi: 10.1080/01690960701702035
Irmen, L., & Roßberg, N. (2004). Gender markedness of language: The impact of grammatical and nonlinguistic information on the mental representation of person information. Journal of Language and Social Psychology, 23, 272-307.
Oakhill, J., Garnham, A., & Reynolds, D. (2005). Immediate activation of stereotypical gender information. Memory and Cognition, 33 (6), 972-983.
Rothermund, K. (1998). Automatische geschlechtsspezifische Assoziationen beim Lesen von Texten mit geschlechtseindeutigen und generisch maskulinen Text-Subjekten Sprache und Kognition, 17 (4), 183-198.
Rothmund, J., & Scheele, B. (2004). Personenbezeichnungsmodelle auf dem Prüfstand. Lösungsmöglichkeiten für das Genus-Sexus-Problem auf Textebene. Zeitschrift für Psychologie, 212 (1), 40-54.