„Aus Gründen der Verständlichkeit…“

Studien

Titel: „Aus Gründen der Verständlichkeit …“: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten
Autor:innen: Braun, F., Oelkers, S., Rogalski, K., Bosak, J., & Sczesny, S.
Jahr: 2007
Erschienen in: Psychologische Rundschau, 58 (3)
doi: 10.1026/0033-3042.58.3.183
Untersuchte Stile: GM; Beidnennung/Neutralisierung; Binnen-I
Kurzzusammenfassung: Gendersensible Formulierungen verschlechtern die Erinnerungsleistung beim Lesen nicht.

Braun et al. möchten herausfinden, ob die gendersensible Formulierung von Texten die Lesbarkeit dieser beeinflusst. Als mögliche Gründe für eine solche Beeinflussung führen sie eine höhere Belastung des Arbeitsgedächtnisses durch größere Wortlängen (vgl. Baddeley, 2002) und eine erschwerte Verarbeitung durch eine geringe Auftretenshäufigkeit (vgl. Kliegl et al., 2004) an.

Das Ziel: Die Wirkung gendersensibler Texte im Vergleich zu traditionell formulierten Texten bezüglich der Erinnerungsleistung und verschiedener Merkmale der Textqualität zu vergleichen.

Die einzigen vergleichbaren Studien kommen zu folgendem Ergebnis:

  1. Die wahrgenommene Verständlichkeit und die empfundene stilistische Qualität eines Textes können je nach Art der gendersensiblen Formulierungen abnehmen (Frank-Cyrus & Dietrich, 1997).
  2. Eine solche Abnahme der subjektiven Verständlichkeit und Qualität geschieht nicht bei allen Varianten gendersensibler Sprache (Rothmund & Christmann, 2003).

Fragestellung:
Beeinflussen gendersensibel verfasste Texte die Erinnerungsleistung negativ?

Hypothesen (wortwörtlich, Braun et al., 2007:186):

  1. Der Inhalt geschlechtergerechter Textfassungen wird schlechter erinnert als der Inhalt der GM-Fassung [GM = generisches Maskulinum].
  2. Geschlechtergerechte Textfassungen werden hinsichtlich verschiedener Aspekte ihrer Textqualität, wie Verständlichkeit, Formulierungsgüte und Lesbarkeit, schlechter beurteilt als die GM-Fassung.

Stichprobe:
86 Personen, 44 weiblich; Alter 17-62 (M=32.7; SD=11.63) Jahre; Bildungshintergrund stark variabel

Material:
Fiktive Packungsbeilage in drei Varianten:
a) GM-Version (z.B. Diabetiker)
b) Beidnennung und Neutralisierung (z.B. Diabetikerinnen und Diabetiker)
c) Binnen-I (z.B. DiabetikerInnen)

Design:
3 x 2 faktorielles between-subjects Design

Erhobene Variable 1: Erinnerungsleistung
Mittels vier Fragen wird ermittelt, wie gut Proband:innen den Textinhalt aufgenommen und behalten haben. Jede Frage hat je eine richtige und drei falsche Antwortmöglichkeiten. Diese Variable ist als objektiv anzusehen.

Erhobene Variable 2: Textqualität
Proband:innen bewerten die ihnen vorgelegte Textfassung hinsichtlich a) Verständlichkeit; b) Güte der Formulierung; und c) Lesbarkeit auf einer 5-stufigen Skala (5=sehr gut; 1=sehr schlecht). Diese Variable ist als subjektiv anzusehen.

Variable 1: Erinnerungsleistung

  • Generell erinnern sich weibliche TN an mehr Inhalte als männliche TN.
  • Für weibliche TN zeigt die Textvariante keinen Einfluss auf die Erinnerungsleistung.
  • Für männliche TN zeigt zunächst die Variante mit Beidnennung die beste Erinnerungsleistung; gefolgt von Binnen-I und GM. Einer weiteren Überprüfung hält diese Beobachtung jedoch nicht stand. Somit zeigt sich für weibliche und männliche TN das gleiche Bild.

Variable 2: Textqualität

  • Für männliche TN ist subjektiv die Verständlichkeit des GM-Textes höher als die der anderen beiden Varianten.
  • Alle anderen Punkte (Güte, Lesbarkeit) zeigen weder bei weiblichen noch bei männlichen TN signifikante Unterschiede je nach Textvariante.

Beeinflussen gendersensibel verfasste Texte die Textverarbeitung negativ?

Nein, Texte in gendersensibler Formulierung beeinflussen die Textverarbeitung, hier mit Erinnerungsleistung gemessen, nicht negativ. Sowohl weibliche als auch männliche TN zeigen keine schlechtere Leistung für gendersensibel formulierte Texte.

Lediglich in der subjektiven Bewertung der Textvarianten unterscheiden sich weibliche und männliche TN. Während dies in sich ein interessantes Ergebnis ist, welches sicherlich weiterer Forschung bedarf, beeinflusst es dennoch nicht die Verständlichkeit „gegenderter“ Texte.

Mit den Worten von Braun et al. (2007:189):
„Zusammengefasst deutet die vorliegende Studie darauf hin, dass entgegen der Kritik an den potenziellen Konsequenzen sprachlicher Gleichbehandlung die kognitive Verarbeitung von geschlechtergerechten Texten ähnlich erfolgreich verläuft wie die Verarbeitung von generisch maskulinen Texten. Nach den vorliegenden Befunden scheint es also nicht erforderlich zu sein, aus Gründen der Verständlichkeit Texte im generischen Maskulinum zu formulieren.“